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Wo die Schiffe Fahrstuhl fahren
Der Finowkanal in Brandenburg ist Deutschlands älteste bis heute schiffbare künstliche Wasserstraße – es gibt ihn schon seit 400 Jahren. Der Kanal lässt sich per Boot oder Fahrrad erkunden und bietet neben der landschaftlichen Schönheit reichlich Industriekultur.
Die Schleusenklappen an der Stadtschleuse Eberswalde öffnen sich, laut rauschend ergießt sich das Wasser in die Schleusenkammer, fast wie ein kleiner Wasserfall. Auf diesen Moment haben die Raubfische nur gewartet. „Sie lauern hier drin auf die kleineren Fische, die beim Fluten hineingespült werden“, erklärt Hartmut Ginnow-Merkert. Er muss es wissen, schließlich war er selbst schon als Schleusenwärter am Finowkanal tätig und kann so manche Geschichte darüber erzählen. Etwa die, wie vor drei Jahren auch ein Biber in der Schleusenkammer gefangen wurde, der nachts nicht mehr herauskam. „Am Ende hat er ein Loch ins Tor genagt, sodass wir das Tor ersetzen mussten“, sagt er.
Jan Philip Häfner
Eine 42 Kilometer lange Wasserstraße
Ginnow-Merkert ist Vorsitzender des Vereins Unser Finowkanal und ein absoluter Kenner des Kanals, der die Historie von Deutschlands ältester noch schiffbarer künstlicher Wasserstraße und sämtliche technischen Daten aus dem Effeff kennt. Trotzdem ist er jedes Mal aufs Neue begeistert, wenn er in eine der insgesamt 13 handbetriebenen Schleusen entlang der 42 Kilometer langen Wasserstraße einfährt. „Das Prinzip ist immer noch dasselbe wie damals bei Leonardo da Vinci“, sagt er. Seit 1620 gibt es den Kanal, der in diesem Jahr sein 400-jähriges Bestehen feiert. Mit einem Fest und einer einwöchigen Dampfbootparade sollte das Jubiläum im Sommer eigentlich groß gefeiert werden – doch dann kam Corona, und alles musste abgesagt werden. Wenn alles gut geht, sollen die Dampfboote nun 2021 zu ihrer Delierfahrt aufbrechen.
Einst wurden sämtliche Güter zwischen Berlin und Ostpreußen über den Finowkanal transportiert, der sich im 19. Jahrhundert zu einer der wichtigsten deutschen Binnenwasserstraßen entwickelte. In Eberswalde existierten damals sogar zwei Schleusen, die rund um die Uhr in Betrieb waren. Trotzdem staute sich der Verkehr: Zum Teil mussten die Floßverbände vier, fünf Tage auf ihre Schleusung warten. 1914 wurde deshalb der Oder-Havel-Kanal eingeweiht, der Finowkanal verlor an Bedeutung. „Der Erfolg des Finowkanals war auch gleichzeitig sein Ende“, sagt Hartmut Ginnow-Merkert. Erst in den vergangenen Jahren entdeckte der Wassertourismus die idyllische Wasserstraße wieder.
Hartmut Ginnow-Merkert ist Vorsitzender des Vereins Unser Finowkanal
Bootsfahrt auf dem Finowkanal
Das touristische Potenzial soll weiter gefördert werden
Vor allem der private Verein Unser Finowkanal hat sich zum Ziel gesetzt, das Erbe des Kanals zu bewahren und sein touristisches Potenzial weiter zu fördern. Stolz berichtet Hartmut Ginnow-Merkert davon, wie ein bekannter Flusskreuzfahrtschiffer in einer Fernsehdokumentation zugab, der Canal du Midi in Frankreich sei zwar schön – doch der Finowkanal habe noch viel mehr zu bieten. Allerdings musste er selbst die Einheimischen erst wieder für ihren Kanal erwärmen. Viele kannten ihn aus DDR-Zeiten nur als dreckige Kloake. Seitdem hat sich die Wasserqualität deutlich verbessert: Heute kann man im Kanal wieder schwimmen, zahlreiche Tiere wie Biber oder Eisvögel sind dort zu Hause. Am Flößerplatz in Finowfurt präsentieren zwei angelnde Jungs stolz ihren Fang des Tages. Besonders naturbelassen ist der Finowkanal am sogenannten Langen Trödel zwischen Liebenwalde und Zerpenschleuse, der so heißt, weil der Abschnitt schon damals durch keine Schleusen oder Brücken unterbrochen wurde und man die Frachtkähne dort besonders lange treideln konnte. Bis 2014 war der Lange Trödel ausschließlich für Kanus zugelassen, seitdem dürfen auch Motorboote wieder durch die idyllische Landschaft nach Zerpenschleuse tuckern.
Der Kanal bildet dort den Mittelpunkt des Ortes, viele Häuser sind zum Wasser hin ausgerichtet – fast wie an einer holländischen Gracht. Am Ufer stehen Bänke und andere Sitzgelegenheiten, mit bestem Blick auf das Wasser und das vorbeiziehende Schwanenpärchen. So schmeckt das Eis im örtlichen Café gleich doppelt so gut.
Man kann den Finowkanal außer mit dem Kanu oder dem eigenen Motorboot auch mit dem Fahrrad auf dem ehemaligen Treidelweg erkunden, der stets entlang des Ufers verläuft. Bis vor einigen Jahren wurden auch noch Fahrten auf einem alten Treidelkahn angeboten, doch dieser liegt heute als Fischrestaurant mit Ferienwohnung vor Usedom. Noch immer wird der Kanal von der örtlichen Politik etwas stiefmütterlich behandelt. Dabei bietet kaum ein anderes Revier eine derartige Symbiose aus landschaftlicher Schönheit und beeindruckender Industriekultur.
Die Stadtschleuse Eberswalde gehört zu 13 handbetriebenen Schleusen.
Zu DDR-Zeiten war der Kanal verdreckt. Die Wasserqualität ist heute deutlich besser.
Als das „märkische Wuppertal“ wurde das Finowtal auch bezeichnet – „es ist eine Pionierregion der Industriegeschichte“, sagt Hartmut Ginnow-Merkert. Kapitän Peter Snaschel, ebenfalls Mitglied im Verein, nimmt uns mit auf Tour vorbei an der alten Seilfabrik, der Papierfabrik und dem ehemaligen Walzwerk, in dem sich heute der Familiengarten befi ndet, ein Freizeitareal für Jung und Alt. Der Montagekran auf dem Gelände kann bestiegen werden – er erinnert daran, dass von Eberswalde aus einst Hafenkräne in die ganze Welt verschickt wurden.
Ein anderes weithin sichtbares Wahrzeichen ist der Wasserturm in der Messingwerksiedlung, der auf vier Säulen wie auf Stelzen thront. Heute steht die ganze Siedlung unter Denkmalschutz. Auch die Kupferhäuser, von denen eines aus der Feder von Bauhaus-Architekt Walter Gropius stammt. Unweit davon wurde 1913 übrigens der Eberswalder Goldschatz entdeckt: Deutschlands größter bronzezeitlicher Goldschatz, der sich nach dem Raub durch die Rote Armee aber mittlerweile in einem Moskauer Museum befindet.
Der Wasserturm
Kapitän Peter Snaschel führt die Tour, die unter anderem am Wasserturm Eberswalde vorbeiführt.
Teufelsbrücke in Eberswalde
Europas größter Schiffs-Fahrstuhl hievt Lasten über 36 Meter hoch
Den umgekehrten Weg ist die Teufelsbrücke gegangen: Einst war sie Teil der Mühlendammbrücke in Berlin; als diese für den zunehmenden Verkehr zu klein wurde, baute man sie kurzerhand ab und verbrachte einen Teil davon nach Eberswalde. Von allen Industriedenkmälern der Stadt liegt Hartmut Ginnow-Merkert jedoch der Waggonaufzug besonders am Herzen: eine Hebebühne für Eisenbahnwaggons, wie man sie nur selten findet. 15 Minuten dauerte es, einen Güterwagen nach oben zu heben – der Weg nach unten dauerte dagegen nur fünf Minuten. Exakt so lange benötigt heute auch das Schiffshebewerk in Niederfinow, um dort einen Höhenunterschied von gleich 36 Metern zu überwinden. Es ist Europas größter Schiffs-Fahrstuhl, der 2007 auch zum ersten historischen Wahrzeichen der Ingenieurbaukunst in Deutschland erklärt wurde. Die großen Schubverbände auf dem Oder-Havel-Kanal können so schnell passieren. Bootstouristen und Radler verbringen ihre Zeit dagegen lieber gemächlich am Finowkanal.
Dieser Artikel erschien im Oktober 2020 im Freizeitmagazin "FORUM".
Text und Fotos: Jan Philip Häfner
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